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15.12.2021

Die Menschlichkeit kann am Ende doch stärker sein...


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Hoher Strafsenat,

Sehr geehrte Damen und Herren Vertreter des Generalbundesanwalts,

Verehrte Zuhörer,

 

erlauben Sie mir zu Beginn nochmals auf die Grundlagen zurückzukehren. Rechtliche Grundlage für die Anklage des GBA gegen Anwar R. ist § 7 VStGB mit der amtlichen Überschrift „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.

Strafjuristen haben gerne für jedes Wort im Gesetz eine Definition parat. Eine juristische Definition des Rechtsbegriffes „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ habe ich nicht finden können. § 7 Abs. 1 VStGB selbst enthält vielmehr die Tatbestandsmerkmale, die der Gesetzgeber als maßgeblich für die Einordnung hält. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, sind die Straftaten so schwer, dass sie als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewertet werden können.

Wenn man sich dem Begriff Menschlichkeit versucht nichtjuristisch zu nähern, dann sagt die sprachliche Definition, dass sich Menschlichkeit in Empathie und Rücksichtnahme zeigt. Toleranz und Respekt gegenüber anderen Menschen machen Menschlichkeit aus. Sie kommt dann zum Ausdruck, wenn ein Mensch einen anderen versteht und mitfühlt. Der Duden nennt als Synonyme für Menschlichkeit: Erbarmen, Humanität und Milde.

Nach allen Schicksalen der Geschädigten, die wir in der Beweisaufnahme gehört haben, wirkt diese Beschreibung wie aus einer anderen Welt.

Die Menschlichkeit ist in Syrien bei Schüssen auf friedliche Demonstranten, in unzähligen dunklen Geheimdienst-Kellern und im Besonderen in den Kellern der Abteilung 251 im Stadtteil Al Khatib in Damaskus gestorben.

Der Angeklagte war einer derjenigen, der dafür verantwortlich ist und deshalb wird der Angeklagte vor einem deutschen Gericht zu Recht nach dem Weltrechtsprinzip belangt werden.

 

Wir haben an über 100 Hauptverhandlungstagen Zeugen angehört, die ihr Leben für Freiheit, Menschenrechte und Demokratie riskiert haben. Menschen wie Anwar Al Bunni, Feras Fayyad und viele andere. Mein tiefer Respekt gilt diesen Menschen der syrischen Opposition und Zivilgesellschaft.

Immer wieder hat sich mir bei den Zeugenaussagen der Geschädigten ganz persönlich die Frage aufgedrängt, wie kann man für eine gerechte Sache kämpfen und nie aufgeben? Woher der Mut eines Anwar Al Bunni und anderer trotz dem Gefängnis, trotz der Gewalt, trotz der Folter, trotz der Bedrohung der Familie?

Eine Antwort ist für mich und meinen Mandanten kurz vor Abschluss dieses Verfahren: Gerechtigkeit kann auf ganz unterschiedliche Weise geschehen, Menschlichkeit kann am Ende doch stärker sein und wurde im Verfahren vor dem Oberlandesgericht Koblenz teilweise wiederhergestellt.

 

Für ihr Urteil, hoher Senat, darf dies selbstverständlich nur eingeschränkt eine Rolle spielen. Der Strafprozess muss immer die individuelle Tat- und Schuldfrage des Angeklagten, hier anhand des Völkerstrafgesetzbuches, aufklären. Eine politische Überhöhung des Strafprozesses ist grundsätzlich nebenseitig und doch untrennbar mit der Anklage verbunden.

Die syrischen Folterkeller waren hier in Koblenz, in einer kleinen deutschen Stadt zwischen Mosel und Rhein, außerhalb dieses Saales gedanklich sehr weit weg.

Aber dennoch geht vom Oberlandesgericht Koblenz ein klares Zeichen aus an die Schergen der Terror-Regime in aller Welt:

Deutschland wird die Verbrecher gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft ziehen, Deutschland ist ein Rechtsstaat und wer mit einer brutalen Vergangenheit hierherkommt muss damit rechnen, dass er für seine Taten zur Rechenschaft gezogen wird.

 

Beim Gespräch über das Verfahren hat mich mein Mandant gefragt „Was ist mit den Makhloufs, was ist mit den Assads? Wie können sie straflos bleiben? Warum sind sie nun wieder international hoffähig?“

Die bittere Antwort ist auch meinem Mandanten klar. Diese Menschen können derzeit für ihre Verbrechen nicht zur Verantwortung gezogen werden.

Das Verfahren gegen Anwar R. kann daran nichts ändern und das ist für viele Syrer eine große Enttäuschung.

 

Das Oberlandesgericht Koblenz hat den Geschädigten in der Beweisaufnahme Raum gegeben. Sie wurden hier mit ihren persönlichen schrecklichen Erfahrungen in der Al-Khatib Abteilung angehört. Sie brachten zur Sprache, was nach dem Willen von Anwar R. und den Folterern in den syrischen Gefängnissen für immer verstummen sollte. Die Schandtaten von Al Khatib, die auch die Verbrechen des Angeklagten sind, sind hier vor dem Oberlandesgericht Koblenz für die gesamte Welt festgehalten worden. In Zukunft wird jeder, der mit dem Regime in Damaskus an einem Tisch sitzt, gerichtlich festgestellt wissen, mit wem er es zu tun hat.

Für meinen Mandanten hat dieses Verfahren aber darüber hinaus eine andere ganz wichtige Funktion erfüllt: der Angeklagte, der für seine Erniedrigung mitverantwortlich war, derjenige, der für seine bleibenden psychischen Folgen mitverantwortlich ist, sitzt jetzt auf der Anklagebank. Er sitzt jetzt im Gefängnis und wird dort sehr wahrscheinlich sehr lange bleiben.

Dieses Verfahren hat meinem Mandanten seine Würde wiedergegeben, die der Angeklagte und seine Helfer ihm versucht haben zu nehmen. Dieses Verfahren hat seinen Glauben an Gerechtigkeit teilweise wiederhergestellt.

Dafür möchte ich stellvertretend für meinen Mandanten dem Bundeskriminalamt, der Bundesanwaltschaft und dem Senat von Herzen für ihre Arbeit danken.

 

Mein Mandant hat seine Erlebnisse vor dem Senat geschildert. Seine Geschichte war etwas anders als die der meisten anderen Zeugen. Er sah sich selbst nicht als Aktivist.

Mein Mandant wurde dennoch am 19.05.2011 an einem Checkpoint von der Straße weg willkürlich verhaftet und nach Al Khatib gebracht. Er weiß bis heute nicht, weshalb er auf einer Liste des Geheimdiensts stand, weshalb er die Folter und die Zustände der vom Angeklagten mit geleiteten Anstalt ertragen musste.

Ist mein Mandant einfach verwechselt oder falsch bezichtigt worden? Eine Antwort darauf könnte nur der Angeklagte geben.

Die Geschichte meines Mandanten zeigt exemplarisch in seiner ganzen Stärke die willkürliche Unmenschlichkeit des Regimes gegen die Zivilbevölkerung in Syrien, die willkürliche Unmenschlichkeit des Angeklagten in seiner Funktion in Al-Khatib.

Die Worte meines Mandanten vor dem Senat waren für mich sehr eindrücklich. Lassen Sie mich, hoher Senat, sie nochmal wiederholen:

„Ich bin ein Mensch, der der Erniedrigung ausgesetzt war. Im Vergleich zu der psychischen Erniedrigung bedeutet mir das körperliche herzlich wenig. Diesen psychischen Druck erlebe ich heute noch. Ich lebe heute noch in der Zelle Nr. 5, in der Todeszelle.

Selbst meine Familie lebt diese Folter immer noch mit mir. Ich habe einen Sohn, der war damals 8 Jahre alt. Weil er so dermaßen Angst hatte, während ich in Haft war, kann er bis heute nicht alleine schlafen. Er kann nicht allein in einem geschlossenen Zimmer schlafen. Er ist jetzt 17 Jahre alt und erleidet dieselben Dinge, die ich damals erlitten habe. Und alle meine Familienmitglieder leiden darunter.

Ich lebe heute noch in dieser Todeszelle und es vergeht kein Tag ohne an diese Gefangenen zu denken. Die schrecklichen Bilder, die ich in diesem Gefängnis gesehen habe, die habe ich immer im Kopf. Sie bringen mich um den Schlaf. Hinzu kommt das Ohrensausen, das führt dazu, dass ich meine Beherrschung verliere. Ich bin nicht mehr ich.“

Mein Mandant wird seine Zeit in den Folterkellern des Gefängnisses von Al Khatib nie vergessen können. Er wird für die Zeit seines Lebens von der Abteilung 251 gezeichnet sein.

Auch dafür wird der Angeklagte vom Oberlandesgericht Koblenz belangt werden.

 

Und trotz dem Raum für die Geschädigten in diesem Verfahren blieben wir nur an der Oberfläche des tausendfachen menschlichen Leides, dass der Angeklagte mit organsiert hat.

Mein anderer Mandant konnte aus rechtlichen Gründen nicht nach Deutschland einreisen, vor dem Senat erscheinen und nicht berichten, wie er in der Abteilung 251 in einen Reifen gezwängt worden ist, wie er geschlagen und misshandelt worden ist. Er konnte nicht in diesem Saal berichten, wie sein 3-jähriger Sohn bei einem Fassbombenangriff des Regimes auf sein Viertel, an seinem ganzen Körper verstümmelt worden ist.

Er ist einer der vielen tausend Fälle, die der Vertreter des Generalbundesanwalts in seinem Plädoyer mit benannt hat. Auch das sollten Sie, hoher Senat, bei ihrer Urteilsfindung mit in Betracht ziehen.

 

Der Angeklagte ist selbst Jurist. Er kannte die Verfassung und die Gesetzeslage in Syrien. Er kannte das Verbot von Folter. Ihm war voll und ganz klar, an welchen Gräueltaten er sich jahrzehntelang und insbesondere nach 2011 beteiligt hat. Er hörte die Schreie aus den Folterräumen jeden Tag. Er sah die Gefangenen und ihre Verletzungen in den Vernehmungen.

Anwar R. war kein „guter Mann von Al Khatib“. Er war nicht die Person, die keinen Einfluss hatte. Er war nicht der kleine Soldat, der eben mitwirken musste.

Anwar R. war ein altgedienter willfähriger Erfüllungsgehilfe eines verbrecherischen Regimes, dass dann nach der syrischen Revolution 2011 den Höhepunkt seiner Grausamkeit erreicht hat und bis heute erreicht. Er hat sich wohl innerlich erst abgewandt, als sich die Grausamkeit des Regimes gegen sein eigenes Dorf gewandt hat. Auch dieser Prozess seiner Entfremdung vom Regime war insofern nicht aus Menschlichkeit, sondern aus Eigensucht.

Im Weiteren schließe ich mich den Ausführungen der Vertreter des GBA an.

Er ist zu einer lebenslangen Haftstrafe zu verurteilen, die besondere Schwere der Schuld ist festzustellen. Er hat die Kosten des Verfahrens und die der Nebenklage zu tragen.


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