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12.07.2022

Betroffene der Alten Apotheke gehen leer aus!


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Ihr Zeichen: VI A 3-92.10.04

Leistungen für Betroffene der Alten Apotheke, Ablehnungsbescheide

Sehr geehrter Herr Minister Laumann,

ich vertrete viele Geschädigte des Apotheker-Skandals um die „Alte Apotheke“ Bottrop als Rechtsanwalt.

Die Freude und die Erleichterung meiner Mandanten war riesig, als Sie mit Schreiben vom 25.04.2022 angekündigt haben, dass der Landtag Nordrhein-Westfalen einen Hilfefonds für die Geschädigten eingerichtet hat. Für die Geschädigten der Alten Apotheke kam dies einer Anerkennung des erlittenen Unrechts und ihres langen Leidensweges gleich.

Nun werden die Bescheide der Geschädigten durch Ihr Ministerium größtenteils abgelehnt. Was durch den Hilfefonds an Gutes geleistet werden sollte, hat sich für viele Betroffene in eine noch größere Ungerechtigkeit gewandelt.

Was ist passiert?

Mit Schreiben vom 25.04.2022 haben Sie den Geschädigten des Skandals um die „Alte Apotheke“ in Bottrop versprochen, dass den Geschädigten mit einem Hilfefonds des Landtags über 10 Millionen Euro unbürokratisch geholfen werden solle. „Durch diese Leistung möchte das Land NRW seine Anteilnahme und Verbundenheit mit den Betroffenen zum Ausdruck bringen“, haben Sie den Geschädigten mitgeteilt und dass „die Leistung zumindest helfen soll, die entstandenen Notlagen ein Stück weit abzumildern und ein Zeichen der Solidarität zu setzen“:

Ihr Ministerium hat eine Richtlinie über die Gewährung von Billigkeitsleistungen erlassen, nach welcher nur Personen oder deren Erben anspruchsberechtigt sind, die Wirkstoffe erhalten haben, für die der Apotheker auch vom Landgericht Essen im Strafverfahren verurteilt worden ist.

Alle anderen Personen, die Medikamente aus der „Alten Apotheken“ erhalten haben, sind nicht anspruchsberechtigt. Dabei teilen alle Betroffenen dasselbe Schicksal.

Aus meinem Mandantenkreis haben bisher nur 5 von 36 Geschädigten dadurch eine Leistung aus dem Fonds erhalten.

Für die Geschädigten hat sich Ihre Ankündigung damit ins Gegenteil verkehrt. Sie haben kein Zeichen der Solidarität erhalten, sondern sind durch Ihr Ministerium sogar retraumatisiert worden. Sie werden erneut nicht als Geschädigte anerkannt und fühlen sich damit zurecht als Opfer zweiter Klasse.

Warum ist dies ungerecht?

Meine Mandanten kämpfen seit Jahren um die Anerkennung als Opfer des Apothekers, sie organisierten Demonstrationen, sie organisierten Mahnwachen und sie waren teilweise durch Beschluss des Landgerichts Essen als Nebenklägerinnen im Strafverfahren gegen den Apotheker zugelassen.

Alle hatten sehr darauf gehofft, dass mit der Solidaritätsleistung des Landes das ihnen widerfahrene Unrecht anerkannt wird.

Stattdessen drängt sich nun das Gefühl auf, dass sich Ihr Ministerium die Täterlogik zu eigen gemacht hat.

Diese Worte möchte ich Ihnen auch kurz begründen.

Meine Mandanten haben aus der Apotheke des verurteilten Apothekers Medikamente zur Krebsbehandlung erhalten sollen, z.B. Docetaxel, Paclitaxel, Cyclophosphamid oder andere Chemotherapie. Diese sind z.B. Teil der Standardtherapien bei der Behandlung von Brustkrebs.

Bei der Durchsuchung im Reinraumlabor der Apotheke am 29.11.2016 wurden bei vielen dieser Wirkstoffe Unterdosierungen festgestellt (Urteilsabschrift Bl. 612 u. 613).

Die Staatsanwaltschaft Essen hat in der Anklageschrift gegen den Apotheker aufgrund ihrer Ermittlungen festgestellt, dass die Einkaufsquote von z.B. Cyclophosphamid oder auch vieler anderer Wirkstoffen lediglich bei 63 % lag. Die Medikamente können deshalb sehr wahrscheinlich auch nicht genügend Wirkstoff enthalten haben.

Das Landgericht Essen hat den Apotheker in diesen Fällen trotzdem freigesprochen.

Das Landgericht Essen hat dazu in einer Presseerklärung erklärt, dass bei einem Strafurteil andere Maßstäbe gelten, als bei einer z.B. zivilrechtlichen Beurteilung. Das Landgericht hatte die Unschuldsvermutung zu Gunsten des Angeklagten zu beachten. So hat es großzügig Sicherheitsabschläge bei den Einkaufsquoten mancher Wirkstoffe zu Gunsten des Angeklagten beachtet und deshalb bei manchen Wirkstoffen, die günstig im Einkauf waren, einen Teilfreispruch ausgesprochen.

Es gilt aber für die Medikation dieser Patienten genau dasselbe wie für die anderen in der „Alten Apotheke“ hergestellten Zytostatika und monoklonalen Antikörper: niemand weiß, wie viel Wirkstoff enthalten war und wie viel der Apotheker nun wo gepanscht hat.

Bei der Durchsuchung konnte man auch objektiv feststellen, dass der Apotheker auch günstigere Wirkstoffe, wie die vorgenannten, mit viel zu wenig Wirkstoff versehen hat.

Niemand, der Chemotherapie aus der „Alten Apotheke“ erhalten hat, kann sich sicher sein, dass seine Medikamente auch den Wirkstoff enthalten haben, den er gebraucht hat. Man wird nie sicher wissen, ob die Medikamente auch wirklich das Risiko einer Rückkehr des Tumors wirksam gesenkt haben.

Mit dieser Angst müssen alle Betroffenen bis heute leben. Diese Angst und das dadurch ausgelöste Trauma wurden nun auch durch die Entscheidung Ihres Ministeriums erneut bestärkt.

Erschwerend kommt für meine Mandanten hinzu, dass das Land Nordrhein-Westfalen im vorliegenden Fall bei der Apothekenaufsicht versagt hat. Dies hat das Landgericht Essen in seinem Strafurteil gegen den Apotheker ebenfalls festgestellt (Urteilsabschrift Bl. 33, 655).

Für meine Mandantin ist es deshalb nur schwer zu ertragen, dass das Land NRW nun erneut eine für sie so unverständliche Entscheidung trifft.

Eine von Ihrem Ministerium veranlasste Vergleichsstudie zu den Krankheitsverläufen von Patienten der „Alten Apotheke“ von Prof. Dr. Haug spricht nach diesseitiger Auffassung ebenfalls dafür, dass die Brustkrebspatientinnen ein größeres Risiko für eine Wiederkehr eines Tumors haben, als die Vergleichsgruppe. Auch diese Zahlen sprechen für eine Unterdosierung der Zubereitungen meiner Mandantinnen.

Durch die Entscheidung Ihres Ministeriums ist eine erhebliche Gerechtigkeitslücke entstanden. Meine Mandanten kämpfen seit Jahren um Gerechtigkeit und um Anerkennung als Opfer.

Ich bitte Sie namens der Geschädigten sich der Sache anzunehmen und Ihr Versprechen aus dem April 2022 einzulösen und die Richtlinie für die Hilfeleistungen auch auf die Geschädigten zu erweitern, die ebenfalls Medikamente aus der „Alten Apotheke“ erhalten haben.

Dieses Schreiben werde ich auch dem Ministerpräsidenten und den Fraktionsvorsitzenden im Landtag Nordrhein-Westfalen zur Kenntnis weiterleiten.

Mit freundlichen Grüßen

 

Manuel Reiger

Rechtsanwalt

 

Berichterstattung zum Thema:

Interview mit WDR Lokalzeit Ruhr vom 11.07.2022

WAZ Bericht vom 11.07.2022

BILD vom 12.07.2022

 

Hintergrundinfo zum Thema:

Wikipedia


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